Supply Chain – ein unberechenbarer Faktor für unseren Erfolg?
Sind wir der schlechten Organisation und Planung unserer Zulieferer machtlos ausgeliefert?
Viele Kollegen werden auf diese Frage mit NEIN antworten – andere haben darüber vielleicht noch gar nicht nachgedacht. Wie immer hat mein Thema einen aktuellen Bezug und so möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen im Jahre 2022 aktuellen Fall möglichst anonym zu beleuchten in dem Wissen, dass wir hier nicht über einen Einzelfall reden und vielleicht doch jemand die eine oder andere Anregung mitnimmt.
Tatsächlich gibt es weltweit produzierende Konzerne, die sich hohe Ziele stecken für die Befriedigung eines boomenden Marktes. Wir besuchen Messen, verkaufen sehr große Mengen unseres fantastischen Produktes für das kommende Jahr. Komplizierte Rechenmodelle werden von sehr geschätzten Kollegen entworfen, um das geplante Wachstum auch personell vorausschauend zu begleiten. Wir stellen Mitarbeiter ein und trainieren sie. Eigentlich müssten wir ja auf einem guten Weg sein.
Die zusätzliche Produktion läuft an, die Mitarbeiter werden nach und nach fit und der Output steigt. Ab einem gewissen Zeitpunkt stagniert die Produktivität und leider wird sie auf einem niedrigen Niveau festgeschrieben. Wir halten das Erreichte nun für gut. Wenn wir ab jetzt mehr produzieren wollen, drehen wir die Manpower auf. Vielleicht sind 2 oder 3 Schichten möglich. Wir sind voll fokussiert auf die Produktion, die sich in den letzten 2 Monaten gut entwickelt hat.
- Warum sind wir mit dem Erreichten zufrieden?
- Warum stagniert die Produktivität?
- Wie entwickelt sich das Betriebsergebnis in Relation zum Umsatz?
- Welche Potenziale haben wir bisher außer Acht gelassen?
- Ist unser Scope groß genug?
Warum aber planen wir keine weitere Rampe-up-Kurve für die Produktivität?
Was sind die Faktoren, die wir glauben, nicht beeinflussen zu können? Gehen wir doch unsere Möglichkeiten durch:
- Die Fertigungssteuerung: Planen wir mit realistisch vorhandenen Ressourcen? Sind regelmäßige Wartungen und Urlaube in den Kapazitäten eingepflegt? Rechnen wir mit illusorischen und theoretischen Werten, die wenig mit den tatsächlichen Abläufen zu tun haben (die Zeiten können in beide Richtungen abweichen. Fakt ist: sie müssen die Realität abbilden)? Im Falle in der Fertigung nach oben abweichender Werte: Was wird getan, um die Vorgabezeiten zu erreichen? Im Falle nach unten abweichender Fertigungszeiten: Wann werden die Arbeitspläne angeglichen, damit wir das volle Potenzial der installierten Kapazität ausschöpfen können?
- Arbeitsplatzgestaltung von Montagearbeitsplätzen: Grade handwerkliche / mit der Hand auszuführende Tätigkeiten sind in unserem Land wegen der enorm hohen Lohnnebenkosten sehr teuer. Wir lassen hier Potenziale liegen, die massiven Einfluss auf die Durchlaufzeit, aber auch insgesamt auf die Fertigungskosten haben. Hat der Mitarbeiter die Werkzeuge, die er für die Montage benötigt, haken wir das im Kopf ab. Greifbar zu beeinflussen sind für uns scheinbar nur maschinelle Tätigkeiten (ohne hier auf Details einzugehen). Doch wie steht es um die Ergonomie, um die Krankheitsquote positiv zu beeinflussen? Wie steht es um die Wege, welche die Mitarbeiter zu den Werkzeugen und C-Teilen zurücklegen müssen? Sind An- und Abdienungsflächen sauber getrennt und in Richtung des Wertstromes angeordnet?
- Maschinelle Abläufe / Tätigkeiten: Sind unsere Vorgabezeiten für mechanische Bearbeitungen wirklich auf dem aktuellen Stand? Sind in den geplanten Zeiten die aktuell umgesetzten Technologien abgebildet? Wann haben Sie zum letzten Mal die benötigten zu den geplanten Zeiten verglichen? Wann hatten Sie zum letzten Mal Anwendungstechniker im Haus, die Ihnen geholfen haben, das Maximum aus Ihren Investitionen herauszuholen? Oder verlassen Sie sich auf Ihre Meister und Ihre AV? Wie sehen denn die Shopfloor Boards aus? Regelmäßige, saubere Planübererfüllung? Das müsste Sie eigentlich alarmieren!
- Die Logistik: Was triggert die Produktionsversorgung? Haben wir teilweise Wartezeiten an den Arbeitsplätzen, weil das Material nicht rechtzeitig oder nicht vollständig angeliefert wurde? Haben wir Staus, weil die Produkte nicht rechtzeitig zur Weiterverarbeitung oder zum Versand abfließen? Wie lange benötigt die Organisation, um fertiggestellte Produkte tatsächlich zu versenden? Stimmen unsere Bestände? Wieviel Zeit vergeht vom Wareneingang bis zur Bereitstellung? Stimmt der Safety Stock oder haben wir regelmäßige oder zumindest gelegentliche Materialversorgungs – Engpässe?
5. Die Beschaffung
An dieser Stelle möchte gar nicht auf das komplette Spektrum der Möglichkeiten zum Thema Beschaffung eingehen und das 1×1 des Einkaufes durchkauen, da zu diesem Thema immer wieder viel und von hochspezialisierten Kollegen gesagt wird. Ich möchte vielmehr den Link zur absurden Schlussfolgerung eines meiner Kunden dahin bekommen, warum wir keine weitere Rampup-Kurve für die Produktivität planen: Man plant(e) schlicht die schlechte Lieferperformance der Lieferanten und den daraus resultierenden eigenen Produktivitätsverlust fest ein.
Schlechte Lieferperformance unserer Supplier – sind wir hilflos?
Da können wir mit den vorgenannten Möglichkeiten eine noch so sehr durchgeplante Produktion kreiert haben: im entscheidenden Moment bleibt die dringend benötigte Lieferung an Halbzeugen aus. Hektisch greifen wir zum Telefonhörer, um am anderen Ende aus dem 423-seitigen Buch der Ausreden vorgelesen zu bekommen. Die Maschine ist kaputt. Der Mitarbeiter hat sich gestern ein Bein gebrochen. Der LKW ist nicht gekommen. Wir hatten einen Streik. Wir wurden selber nicht beliefert.
Prinzipiell ist es natürlich immer richtig und hilfreich, wenn man eine zuverlässige second Source hat. Die hat aber auch nicht nur darauf gewartet, dass der erste Lieferant ausfällt. Insbesondere, wenn es sich um komplexere Halbzeuge wie zum Beispiel Gusskomponenten handelt oder andere Bauteile, die kompliziertere Bearbeitungsverfahren durchlaufen müssen, bevor sie geliefert werden können.
Wir sind jedoch auch hier nicht komplett ohne Möglichkeiten, wenn wir Unregelmäßigkeiten in der Liefertreue feststellen.
Von Beginn an regelmäßige Lieferantenaudits – und zwar nicht nur durch das Procurement, sondern beispielsweise gemeinsam mit Kollegen aus der Qualitätssicherung und aus der Fertigungssteuerung lassen uns ein besseres Gefühl für die Prozesssicherheit auf der Lieferantenseite bekommen. Aber wie das mit Kundenbesuchen so ist: Ich selber hatte noch kein unangekündigtes Audit und man bekommt nur das gezeigt, was funktioniert. Wir führen nicht nur Lieferantenbewertungen durch, sondern wir beschäftigen uns auch tiefer mit denjenigen, die ein wesentlicher Teil unseres Erfolges sind. Trotzdem führen hin und wieder späte Belieferungen oder eine nicht ausreichende Qualität zu massiven Störungen in unseren Abläufen.
Wir sind gezwungen, unsere Kunden so zeitig wie möglich über mögliche Verzögerungen zu informieren. Selbstverständlich versuchen wir, dies bis zum Schluss zu verhindern, priorisieren spezielle Aufträge, die von Pönalezahlungen bedroht sind und bringen die Produktionsplanung ein weiteres Mal komplett durcheinander, was mit Abrissen im Produktionsfluss und massiven Produktitätseinbußen einhergeht. Egal was wir über Fertigungssteuerung wissen: wenn das Damoklesschwert der Pönalezahlung oder die wichtige Kundenbeziehung auf dem Spiel steht, opfern wir alles.
Wie wollen wir aus dieser Situation wieder herauskommen?
Auch andere Aufträge werden nun gründlich in Mitleidenschaft gezogen, die Nerven liegen Blank. Die Traumfabrik befindet sich plötzlich im Sinkflug. Jetzt kommt exakt der Punkt, an dem sich schon andere, prominente Mitberwerber befunden haben. Wir planen einmal komplett neu, führen intensive Gespräche mit all unseren Kunden, geben nun vermeindlich verbindliche Termine ab und auf dem Papier ist alles wieder sauber. Bis zum nächsten Crash, denn wir haben nichts aus unseren Fehlern gelernt.
An welcher Stelle sind wir denn falsch abgebogen? Was können wir dieses Mal nachhaltig anders machen?
Zunächst einmal: Richtig, wir müssen leider alles einmal gründlich begradigen, wenn wir nicht plötzlich unendlich viel Manpower mit entsprechenden Qualifikationen zur Verfügung haben. Wir hören bitte sofort auf, mit Excel Tabellen vorbei am System zu „planen“ (ich würde eher sagen: den Schaden zu maximieren). Alle Informationen gehören in exakt EIN System, wir optimieren die Fertigung und deren Steuerung, das System führt. Das System führt bitte, und nicht der Chef, der einem Kunden etwas verspricht (wobei das nach Absprache mit der Fertigungssteuerung passieren kann, aber bitte nicht aus dem Bauch heraus). Ich möchte hier nicht irgendwie langweilig, unflexibel oder weltfremd klingen: Die Systeme heute beherrschen das wirklich viel besser als der Mensch. Die komplexen Abläufe und die bestmögliche Auslastung erreichen wir nicht, wenn wir an dieser Stelle mit eigenen Tabellen eingreifen. Lediglich – und das muss allen klar sein: Das System muss alle Informationen haben und die Informationen müssen wahr sein. Wenn wir heute mit der Fertigungssteuerung über PPS nicht erfolgreich sind dann nur, weil wir im System nicht die Realität abbilden und aus der Fertigung nicht alles herausholen. Auch PPS Systeme haben Möglichkeiten der Priorisierung einzelner Aufträge. Exakt hier sind die Stellschrauben.
Jedem muss bewusst sein, welcher Schaden für die Abläufe und vor allem auch für das Betriebsergebnis angerichtet wird, wenn Materialflüsse abgebrochen werden. Maschinenstillstände auf ursprünglich geplanten, nachfolgenden Bearbeitungsschritten, zusätzliche Rüstzeiten (die schon für sich genommen jede Planung aushebeln), Chaos und Verzweiflung in der Logistik, andere unzufriedene Kunden, die wir plötzlich nach hinten schieben.
Den Äger mit den anderen Kunden haben wir ja erst nächste Woche.
Befinden wir uns in einer sich immer wiederholenden Spirale aus Neuanfang und Versagen?
Sehen wir es doch mal aus der Sicht unserer Lieferanten: Er beliefert uns ja nicht aus Böswilligkeit unpünktlich. Beim Lieferanten ist grad exakt das Gleiche passiert, wie bei uns. Auch er möchte Geld verdienen durch flüssige Abläufe und zufriedene Kunden.
Kontrolle ist gut, Unterstützung ist besser.
In welchem Falle ist der Schaden auf allen Seiten denn größer: Wenn wir nach der Begradigung der Abläufe alles von vorn beginnen lassen, intern nichts für die Optimierung tun, uns Liefer- und Qualitätsprobleme weiterhin aufbürden lassen oder wenn wir dem Lieferanten unsere Unterstützung anbieten? Die Frage ist doch gar nicht, was der Lieferant im ersten Moment darüber denkt sondern: Wie verkaufen wir ihm diese Idee? Die Frage ist auch weiterhin nicht, welche Kosten das auf unserer Seite erzeugt, von denen vordergründig der Lieferant profitiert. Die Frage ist vielmehr: Wollen wir weiterhin in dieser Spirale gefangen sein? Wollen wir weiterhin Qualitätsprobleme im eigenen Hause haben? Es ist doch schlicht eine Milchmädchenrechnung, wenn wir uns hinstellen und sagen: Anyway, fordere ich einen 8D-Report an und reklamiere das. Irgendwann lernt er schon daraus. Oder auch: Egal, dann wechsele ich den Lieferanten. Welche Kosten und Unwägbarkeiten zieht das alles nach sich?
Das hört sicher prognostizierbar nie auf.
Was spricht dagegen, gezielt 2 eigene Mitarbeiter mit speziellem Wissen, das exakt zu den Defiziten des Lieferanten passt, für einen begrenzten Zeitraum zu entsenden, das Lieferantenunternehmen zu befähigen und später in größer werdenden Abständen zu auditieren? Wir haben für diesen Fall klar kalkulierbare Kosten, eine zuverlässige Informationsquelle direkt beim Lieferanten sowie weder Personalmehrbedarf für die Bearbeitung von Problemen noch Probleme mit unseren internen Abläufen aufgrund von Umplanungen. 6 Monate gezielte Investition in Lieferantenentwicklung und wir erreichen eine massive Senkung der Cost of poor Quality, zudem stabile Liefertreue und wachsende Kundenzufriedenheit.
Klingt einfach und trotzdem ist es ein Weg, bei dem man nicht durch die bloße Idee schon am Ziel ist. Die Ausschöpfung wirklich aller Potenziale kostet Ressourcen.
Was jedoch ist teurer? Wenn man es tut oder wenn man es nicht tut?
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